Leseprobe: Ostergeschichten
- Monka
- 13. Feb.
- 7 Min. Lesezeit
Ostergeschichten von Liane Lunken
Für alle,
die sich den Glauben an das Gute
nicht nehmen lassen.

Erhältlich im Tredition-Shop,Amazon und Buchhandel
Vorbemerkung
Es war im Monat März, wenn sich bereits die ersten Vorboten des Frühlings dem wachsamen Auge offenbaren und es war die Zeit der ersten großen Pause, nachdem sämtliche Kinder ausgelassen auf den Schulhof hinausgeströmt waren. Einige riefen sich etwas zu und eine Gruppe Mädchen kicherte, während andere ihre Pausenbrote aßen. Schließlich verteilten sich die Kinder auf dem Hof: einige spielten Fangen oder Verstecken, andere kickten sich eine Blechdose zu und wieder andere standen im Kreis zusammen. Alles war wie sonst, bis sich über den allgemeinen Geräuschpegel hinweg ein Streitgespräch vernehmen ließ.
„Mein Vater hat es mir gesagt, und der lügt nicht“, hörte man den kleinen Heri sagen.
„Du bist vielleicht blöd“, erwiderte der deutlich größere Hardi. „Das sind doch alles Märchen. He, schaut euch mal den an, der glaubt ja noch an den Osterhasen.“ Einige Lacher erhoben sich, doch die meisten Jungen waren ganz still. Wie würde die Sache jetzt weitergehen?
„Ist mir ganz egal, was du sagst, ich glaube trotzdem an den Osterhasen“, presste Heri trotzig hervor. Wieder erhoben sich die Lacher von vorhin, diesmal noch lauter, vor allem, weil der Wortführer ebenfalls mitlachte.
„Der spinnt doch total“, stellte Hardi schließlich fest und zog kopfschüttelnd mit seinen Befürwortern ab. „Mit solchen Blödmännern gebe ich mich nicht ab“, hörte man seine im Weggehen hingeworfene abschließende Feststellung. Die anderen Jungen blieben schweigend zurück und schauten fragend auf Heri. Was war denn jetzt mit dem Osterhasen? Was sollten sie nun glauben? Ihre stummen Münder und großen Augen formulierten unmissverständlich diese Fragen, bis der kleine Heri beherzt antwortete: „Ich jedenfalls glaube an den Osterhasen. Das lasse ich mir von niemandem nehmen.“
Vermutlich werden Sie, lieber Leser, dem Grundschulalter längst entwachsen sein und möglicherweise eigene Kinder haben. Ich weiß natürlich nicht, ob Sie an den Osterhasen glauben, ich weiß nur, dass ich zur Fraktion des kleinen Heri gehöre, die sich diesen Zauber nicht nehmen lassen will. Dabei ist es ganz gleich, ob Sie sich einen Hasen mit einem Weidekörbchen voll bunter Eier auf dem Rücken vorstellen oder das Erwachen der Natur. Vielleicht denken Sie an das murmelnde, helle Rinnen des Wassers, das aus einer versteckten Quelle ans Tageslicht sprudelt, vielleicht bestaunen Sie auch die ersten Gänseblümchen auf einer grünen Wiese mit allerlei munterem Leben darin. Dieses Hervorbrechen und dieser Neubeginn des Lebens ist ein Wunder, das uns jedes Frühjahr geschenkt wird. Wir können es als jährlich wiederkehrend gedankenlos hinnehmen, oder aber wir entdecken den lebens-bejahenden Zauber darin, den uns das Leben selbst jedes Frühjahr neu zuteilwerden lässt.
Das Hasenbrot
Es war einmal ein Bauer, der lebte mit seiner Frau in einem kleinen Häuschen in einem abgelegenen Dorf. Sie hatten zwei brave und folgsame Töchter, besonders die ältere Bruni, während die jüngere Eri gerne auch mal diesen oder jenen Streich ausheckte. Eines Nachmittags hatten die beiden Mädchen schon viele Stunden einträchtig gewartet. Die Schularbeiten waren längst erledigt und das Zimmer aufgeräumt. Jetzt spielten die Schwestern mit ihren Puppen. Aber sie spielten nur mit halber Aufmerksamkeit, denn bei jedem Geräusch, das eine von ihnen zu hören glaubte, rannten beide aufgeregt ans Fenster.
War e r es?
Er musste doch jeden Augenblick kommen! Es war im Monat März, wenn die Sonne ihre lang vermissten, warmen Strahlen zur Erde schickt und die schlafende Natur wieder zum Leben erweckt. Am Nachmittag hatte eine Schar bunter Wiesenkrokusse die fröhlichen Köpfchen zum Himmel gereckt und das Auge der Vorübergehenden erfreut. Jetzt war der Abend heraufgezogen und mit ihm die Kühle und die Dämmerung. Da hatten sich die zarten Blüten schnell geschlossen und zur Nachtruhe begeben.
Im Kinderzimmer droben brannte jetzt Licht. Immer wieder standen die Mädchen am Fenster, drückten ihre Köpfchen an die Scheibe und spähten hinaus. Aber sie konnten nichts sehen, nur das graue Licht der einfallenden Dämmerung.
DA! –
War da nicht ein Geräusch an der Haustüre? Eri hatte es als Erste gehört und stürzte zur Zimmertür, um auf den Flur hinauszuhorchen. Sie öffneten die Tür einen Spalt breit und lauschten atemlos. Dann schauten sich beide mit leuchtenden Augen an. JAA! Die Haustür war ins Schloss gefallen und der Vater heimgekommen.
Jetzt gab es für die zwei Mädchen kein Halten mehr. Die ältere Bruni voraus rannten sie zur Treppe und in die Küche hinunter. Der Vater hatte die Mütze abgelegt und seine dicke Winterjacke an den Kleiderhaken gehängt. Jetzt saß er vornübergebeugt auf der Ofenbank und war eben dabei, seine schweren Stiefel auszuziehen. Als Eri und Bruni hereinstürmten, sah er auf und lächelte. Die Kinder hingen rechts und links an seinen Armen und Bruni rutschte die Frage heraus: „Und? Hast du ihn gesehen?“
So ungestüm waren die beiden, dass die Mutter fürsorglich eingreifen musste und die Mädchen ermahnte, den Vater doch erst einmal die Stiefel ausziehen zu lassen. Sie möchten inzwischen helfen, den Abendbrottisch zu decken, dann werde ihnen der Vater schon alles erzählen.
Nachdem der Vater am Tisch Platz genommen hatte, setzten sich Eri und Bruni wie auf Kommando auf ihre Plätze und hingen an seinen Lippen. Sie beobachteten, wie er in seine Westentasche griff und vier selige Kinderaugen verfolgten jede seiner Bewegungen.
„Heute“, sagte der Vater langsam, „war im Hasenhaus jede Menge Betrieb und Aufregung wie immer um diese Zeit. Aber ich hatte Glück und habe jedem von euch ein frisches Hasenbrot mitgebracht.“ Bei diesen Worten zog er zwei dunkle Brotscheiben aus der Westentasche und legte jedem Kind eine auf den Teller. Unterdessen war auch alles für das Abendbrot gerichtet, die Mutter setzte sich zu ihnen an den Tisch und endlich durften die Mädchen das herrlich krustige Hasenbrot aufessen.
*
Als die Zeit zum Schlafengehen gekommen war, hatten sich die Mädchen schon in ihre Betten gekuschelt. In ihrem Schlafzimmer stand ein kleiner Kohleofen und verströmte eine wohlige Wärme. Während der Vater einen Apfel in Stückchen zerteilte und jedem Kind seine Portion auf ein Brettchen legte, saß die Mutter auf einem Schemel und nahm ein dickes Märchenbuch zur Hand. Doch heute, wie so oft, baten die Kinder ihre Eltern, ihnen die Geschichte vom Hasenbrot zu erzählen.
„Na gut“, sagte die Mutter. „Das ist eine sehr alte Geschichte“, begann sie und legte das Märchenbuch beiseite, denn diese Geschichte stand nicht darin. Es war eine Geschichte, die man nur in ihrem Dorf kannte.
„Ganz weit draußen im Steinfeld, an der äußersten Grenze unseres Dorfes, steht ein dichtes Tannenwäldchen. Es ist so dicht und dunkel, dass man gar nicht hindurch-sehen kann. Und wenn doch einmal ein Baum umgehauen oder vom Sturm umgeknickt worden ist, ist gleich am nächsten Tag wieder ein neuer nachgewachsen. So kam es, dass die Menschen überall sonst viele Bäume fällten und Äcker anlegten, nur das Tannenwäldchen blieb als einziges unberührt. Ganz durchlaufen hat es noch nie jemand, aber es muss unendlich groß sein. Wer sich auskennt und mutig genug ist, der braucht nur an der richtigen Stelle einige Meter hineinzugehen, dann findet er ein uraltes Holzhaus mit einem dichten Strohdach und unzähligen Türchen und Fensterchen. Wie lange man aber auch schauen mag, die Bewohner sieht man nicht und nur manchmal kann man von drinnen ein Klopfen und Kratzen hören. In dem Häuschen leben nämlich seit undenklichen Zeiten unzählige Hasen und Häsinnen mit ihren vielen Hasenkindern. Im Laufe der Zeit haben sie sich unter der Erde Tunnel gegraben, eine ganze Hasenstadt. Dort leben sie ungestört und für die Menschen unsichtbar.“
Der Vater hatte in der Zwischenzeit jedem der Mädchen die Apfelstückchen ans Bett gebracht und setzte sich behutsam auf den Rand von Brunis Bett.
„Papa“, fragte die kleine Bruni, „ich möchte so gerne mal zu den Hasen gehen und sie besuchen.“
„Nun ja", erwiderte der Vater und seufzte leise, „das geht leider nicht. Denn jeder, der den Hasenbau betritt, verirrt sich in den weiten und dunklen Gängen. Niemand, der einmal hineinging, ist von dort wieder zurückgekehrt.“
„Und warum wollen die Hasen keinen Besuch haben?“, ließ Bruni nicht locker.
„Wisst ihr“, begann die Mutter und schaute in vor Spannung glühende Kinderaugen, „das ist eigentlich ein ganz großes Hasengeheimnis. Aber ich glaube, euch kann ich es verraten. Die Hasen haben nämlich immer schrecklich viel zu tun und gar keine Zeit für Besuche. Das ganze Jahr hoppeln sie über Feld und Wiesen und graben Löcher, Höhlen und Tunnel. Dabei kommen sie ziemlich viel herum und entdecken vieles, das ihnen nützlich ist. Und natürlich müssen sie auch für den nächsten Winter vorsorgen. Deshalb sammeln sie fleißig alle Arten von Gräsern und Kräutern, Getreideähren und Gemüseknollen, Samen, Beeren und Blüten. Im Sommer ernten sie Heu und im Herbst suchen sie nach allerlei Nüssen, Wurzeln und Pilzen. Deshalb tragen sie auch meistens einen Korb auf dem Rücken.“
„Und was essen die Hasen am liebsten?“, wollte nun Eri wissen.
„Nun, am liebsten nehmen sie etwas Brot mit auf den Weg“, antwortete die Mutter. „Wenn sie am Morgen aufbrechen und eine Scheibe Brot vor ihrer Hütte finden, legen sie sie in ihren Korb. Dann hoppeln sie los und sammeln all die Beeren, Kräuter und Wurzeln darauf, die sie von ihren Wanderungen mitnehmen. Weil sie aber die ganze Zeit so beschäftigt sind, denken sie gar nicht mehr daran, eine Pause zu machen und von dem Brot zu essen. So kommt es, dass sie am Abend mit einem vollen Korb zu ihrem Bau zurückkommen und erst beim Entleeren des Korbes das Brot darin wiederfinden. Aber sie essen es nicht auf, denn die Hasenmama wartet ja drinnen mit dem Abendessen auf sie. Deshalb legen sie das Brot wieder vor ihren Bau, wo sie es am Morgen gefunden haben.“
„Und deshalb schmeckt das Hasenbrot so gut“, murmelte die kleine Eri, die nun immer müder wurde, fast so, als wäre sie auch den ganzen Tag durch das Feld gelaufen.
„Genau“, sagte die Mutter. „Das Hasenbrot ist das gesündeste Brot, das es gibt. Denkt nur an die vielen Kräuter und Wurzeln, Beeren und Blüten, die darauf gelegen haben. Deshalb heißt es ja auch: Hasenbrot macht Wangen rot.“
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